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Elfriede Sieferle

  1. Wurstsalat und Brägele


 

 

 

 

 

 

 


 

Wurstsalat und Brägele

von Elfriede Sieferle

Da sitze ich, vor meiner alten Nähmaschine. Ja wo sind denn meine Gedanken? Ach so, die machen sich gerade selbstständig und schweifen so vor sich hin. Ich denke an Josef, meinen Mann. Noch dreißig Minuten, dann muss ich zurück in die Küche, das Abendbrot zubereiten. Es gibt Wurstsalat und Brägele (Bratkartoffeln). Das Lieblingsgericht meines Mannes.

Hier unten im Keller ist mein letzter Zufluchtsort. Die Nähkammer habe ich selbst eingerichtet. Es gibt eine Tür, zu der nur ich den Schlüssel habe. Die Nähmaschine ist noch von meiner Mutter, ebenso der Tisch und der alte Bauernschrank, in dem ich die Dinge aufbewahre, die mein Mann wegschmeißen würde. Als ich Josef kennenlernte, dachte ich gleich an Freiheit, Selbstständigkeit und Selbstbestimmung und konnte es nicht erwarten, ihn zu heiraten. Ich wollte raus aus dem elterlichen Diktat. Mein Vater steckte mich damals in ein Klosterinternat. Ja, aus mir sollte was besseres werden - eine feine Dame. In dem ersten Vierteljahr durfte ich weder das Kloster verlassen, keine Telefonate noch Briefe empfangen, noch durften mich die Eltern besuchen und Jungs und Miniröcke waren verboten und Elvis und die Beatles waren von schlechten Eltern. Freiheit; ein Fremdwort! Alle vier Wochen dürfte ich nach Hause, obwohl das Elternhaus keine Stunde Fahrzeit entfernt war. Nach dem Abitur machte ich eine Lehre in der Kreissparkasse, wo ich meinen Mann kennengelernt habe. Es war mein erster Freund. Die Lehre musste ich abbrechen, weil ich einen dicken Bauch bekam. Heftige Vorwürfe kamen von meinen Eltern, aber ich war doch volljährig! Schließlich und endlich heiratete ich meinen Freund. Eine Zweizimmer-Altbauwohnung ohne Bad war unser erstes Zuhause.

Aber jetzt muss ich in die Küche, mein Mann kommt bald und es ist nicht gut, wenn das Essen nicht fertig ist.

Eigentlich habe ich alles. Drei Kinder... Obwohl ich jetzt in der Küche stehe, wandern meine Gedanken noch weiter umher. Die Brägele brutzeln und ich schneide gerade die Wurst und die Zwiebeln für den Wurstsalat.

"Wo ist mein roter Badeanzug", begrüßt mich meine älteste Tochter aus dem Flur.
"Unten im Trockenraum", grüße ich zurück. Ja, inzwischen haben wir eine Reihenhaus-Hälfte in der Vorstadt.
"Kannst Du den Tisch decken", rufe ich meiner Tochter Andrea zu.
"Nee, sonst noch was! Ich habe ihn gestern gedeckt. Das soll der Erwin machen!", kräht das Gierlie.
"Ja Franzi, wo kommst denn Du her?" Mein jüngstes Kind tanzt fröhlich in die Küche, schnappt sich die Teller und deckt den Tisch.
"Wenn die anderen zu blöd sind, dann mache ich es", tönt es aus der Kleinen.

Mein Mann lehnt bereits an der Türzarge: "Was gibt es heute zu essen, Schatz?"
"Da schau, Dein Lieblingsessen, Josef!"
"Nicht schon wieder! Das gab es doch schon mal letzte Woche", brummt er mürrisch, "Hättest auch ’Nürnberger‚ machen können.“
"So ein Scheiß...", denke ich, “nichts mache ich richtig."

Josef holt aus dem Keller sein "Weize", wie im "Badischen" das Weißbier genannt wird. Die Kinder sitzen bereits am Tisch.

"Wo ist das Besteck?", brüllt nun Josef, der sein "Weize" in ein Glas füllt.
Mir stehen fast die Tränen in den Augen. Aber ich darf mir nichts anmerken lassen. Aus der Schublade verteile ich nun das Besteck. Serviere den Wurstsalat und in einer Pfanne die Brägele.

Am Tisch ist die übliche Unterhaltung. Josef hätte doch gerne Nürnberger Bratwürste gegessen. Erwin möchte keinen Tee trinken, denn er wäre aus dem Alter, aber für ein "Weize" ist er noch zu jung und Wasser trinken nur Ochsen. Gierlie hätte doch lieber einen herzhaften Feldsalat mit Speck und das um diese Jahreszeit!

Nun erheben sich alle. Gierlie verschwindet ins Bad. Josef legt sich in den Fernsehsessel, denn die Nachrichten sind wichtig. Erwin macht es sich mit einer Packung Chips auf dem Sofa bequem. Franzi dreht das Radio an und singt kreischend die Opernarie mit und versucht, sich auf den Fußzehen stehend zu drehen.

"Ist das die Freiheit, die ich wollte?", denke ich so vor mich hin, während ich den Tisch abräume und das restliche Essen versorge. Anschließend bringe ich die Küche in Ordnung. In der Ecke steht noch Bügelwäsche. Meine Gedanken schweifen weiter, meine Hände erledigen währenddessen einen Teil der Bügelwäsche. Die Aufforderung von Josef, ihm aus dem Keller noch ein "Weize" zu holen, gehen in meinen Gedanken unter. Josef holt sich sein "Weize" selbst. In der Schublade in der Küche findet er einen Öffner. Die Flaschenkaspel und den Öffner lässt er auf dem Anrichtetisch liegen. Ich, die Mutti, räume den Öffner und die Flaschenkapsel weg.

Franzi kreischt noch lauter und hüpft dabei wie ein junger Hund durch die Gegend. "Hör jetzt auf Franzi. Es ist neun Uhr. Putz Dir jetzt die Zähne." Franzi verschwindet nach oben. Im Schlafanzug kommt sie wieder runter und verteilt Bussis. Am Bett lese ich ihr noch eine Gutenachtgeschichte vor. Während des Lesens schläft sie ein.

Meine Gedanken holen mich wieder ein. Es sind Freiheitsgedanken. Gerne würde ich mal was anderes machen. Meine linke Hand greift zum Bügeleisen, während die rechte das weiße Hemd zurecht zieht.

Meine Müdigkeit veranlasst meine Hand, den Stecker vom Bügeleisen aus der Steckdose zu ziehen. Erschöpft erreicht der Körper das Wohnzimmer, denn geistig bin ich längst woanderst. Im Fernsehen präsentiert eine Dame ihren Busen. "Ruft mich an!!!" ist ihre Aufforderung, "...339 339 339, ...339 339 339, verlange Eva!". Eine weitere Dame mit blankem Busen kommt. Während sie ihren Tanga-Slip von der Hüfte zieht haucht sie verführerisch: "Geile Frauen machen müde Männer munter......" Darunter eine Laufschrift: "...4666 4666 4666,...4666 4666 4666!"

Eine Frau sitzt in der Badewanne. Selbstverständlich wieder nackt Es ist die Fortsetzung vom Thriller "Frauen leben in der Nacht gefährlich". Ein maskierter Mann schleicht unbemerkt in das Badezimmer. In der linken Hand hält er ein Messer. Die rechte Hand ergreift die Frau am Schopf. Sie lässt einen Schrei los, aber der Maskierte schneidet gekonnt in ihre Kehle. Das weiß schäumende Wasser ist nun rot.

"Muss ich mir das noch ansehen? Nein!!!", beschließe ich und begebe mich ins Bad. Mein Nachthemd hängt noch am Haken. Heute ziehe ich doch lieber ein frisches an. Danach bin ich so froh, dass ich im Bett liege. Meine Gedanken schwärmen aufs Neu. Das Ziel eines Menschen ist doch der Schlaf. Das Licht geht an. Mein Mann kommt herein. Bis auf die Unterhose trägt er nichts. Meine Augen brennen durch das grelle Licht. Josef macht das Licht aus und lässt sich ins Bett fallen.

Ich drehe ihm den Rücken zu. Aber ich weiß genau, was jetzt kommt. Das macht er jeden Abend so. Er streichelt meinen Rücken. Es dauert nicht lange, dann wandert mein Nachthemd nach oben.
"Oh Josef, ich bin hundemüde und möchte schlafen. Aber, du weißt ja wo alles liegt!"
Seinen heißen Atem und Weißbier-Zahnpasta-Geruch prallen auf meinen Nacken. Seine haarigen Arme umgreifen meinen Oberkörper. Ich träume von einer weißen Brauerei am Sandstrand. Schließlich schlafe ich endlich ein.

Irgendwo in einer anderen Welt höre ich eine Klingel. Sie klingt wie unsere Haustürklingel. Ich wache auf. Es ist tatsächlich unsere Klingel, die schrill tönt. Im Dunkeln schleiche ich in den Flur, ziehe meinen Morgenmantel an und gehe runter zur Eingangstür. Es ist Gierlie, die Sturm läutet.

"Ich habe meinen Schlüssel vergessen!" murmelt kleinlaut Gierlie.
"Weißt Du wie viel Uhr wir jetzt haben?“, äußere ich verstimmt.
"Ja, Viertel nach Drei", murmelt Gierlie.

Mit blinzelnden Augen wandle ich wieder zurück in mein Bett. Der Schlaf holt mich ein.
Aber ich stehe bald wieder auf. Es scheint mir so. Ich eile zum Esstisch. Auf ein Blatt Papier male ich mit dem Filzstift das Wort ’S t r e i k !’ Heute weckt ihr euch selbst. Ihr wisst, wo das Frühstück zu finden ist. Gierlie muss sich selbst in die Schule schicken! Erwin weiß, wie man Kaffee macht und Franzi ist eh aufgeweckt und selbständig.

Mutti geht heute in den Zoo.

Es klopft am Rücken. Es ist Erwin.

"Du Elfriede, Zeit zum Aufstehen!", haucht er ins Ohr. Mann, ist das ein Geruch!!! Schlimmer als ein Odelfass. "Okey!, ich stehe jetzt auf", denke ich so. Ich stehe wirklich auf. Im Morgenmantel wecke ich Gierlie, ebenso Erwin und Franzi. In der Küche schmeiße ich die Kaffee-Maschine an. Gebe Eier in kochendes Wasser und bediene den Toaster. Bald sitzen alle am Tisch und frühstücken.

"So ein Streik wäre gar nicht so schlecht!" denke ich im Stillen, "Jeder Berufstätige hat Urlaub, Schüler haben Ferien und Selbstständige machen einfach frei! Nur die arme Hausfrau sitzt zu Hause und ist tagtäglich für die Familie da. Wenn die Familie Urlaub macht, darf ich selbstverständlich mit. Aber wer packt die Koffer? Selbst im Urlaub bin ich noch für meine Familie da. Tag und Nacht! Und das ist alles selbstverständlich, und dann wird über meinen Services noch gemeckert, ....mecker....mecker....mecker,...mecker, den ganzen Tag! Und was ich alles falsch mache! Und wo ist denn mein Selbstbewußtsein, Integrität, mein Stolz geblieben?"

Einer nach dem anderen verlässt das Haus. Man hört ein mürrisches Aufwiedersehen.

Aber heute nehme ich mir frei. Ich gehe in den Zoo!!! Vielleicht langt es noch für einen Kinobesuch!

Josef kommt am Abend wie gewohnt nach Hause. Die Kinder wissen es längst.

Auf dem Esstisch findet er eine Tafel:

Lieber Josef, liebe Andrea, lieber Erwin und liebe Franzi!

Heute ist mein freier Tag!

Lieber Josef, auf der Anrichte findest Du gekochte Kartoffeln.

Bitte pellen und in feine Scheiben schneiden. In der Pfanne Butter oder Olivenöl erhitzen und darin zusammen mit Zwiebeln braun rösten. Zwiebeln bitte klein schneiden. Im Kühlschrank ist noch Wurstsalat.

Wurstsalat und Brägele ist doch Dein Lieblingsgericht!

Kannst auch Spiegeleier oder Ochsenaugen dazu machen.

Anschließend das Geschirr wegräumen und die Küche in Ordnung bringen.

In der Ecke steht noch ein Korb mit Bügelwäsche.

Der Wohnzimmerteppich sollte gesaugt werden und lass die Waschmaschine laufen. Gierlie soll die Betten machen.

Um Neun Uhr muss Franzi ins Bett.

Die Kinder können Dir bei der Arbeit helfen.

Wenn ihr fertig seid, könnt ihr Fernsehschauen!

Falls ich den Schlüssel vergessen haben sollte, bitte macht auf. Es kann sein, dass ich erst in der Früh um drei nach Hause komme.

Bussi und liebe Grüße

Elfriede

30.06.2007

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