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Die Geschichten: James Blackforest

Kein Tag ohne Alkohol 27. Kein Tag ohne Alkohol

Claudia kann und will ihren Bauch nicht mehr verstecken. Er ist dick und das Gehen und Bücken ist beschwerlicher geworden. James übernimmt jetzt so manche Aufgaben von Claudia. Das Malen bleibt auch etwas zurück, auch wenn dies eben schwer fällt.

Aber James ist nicht ganz allein. Angela und Robert helfen ihm in der Hausmeisterei so gut wie sie können.

Angela und Robert leben längst in Claudias Wohnung in der Gerberstraße und Käfersberg ist Claudias Zuhause geworden.

James und Claudia wollen heiraten, noch bevor das Kind die badische Luft persönlich einatmen kann. Ob dies gelingt, hängt wohl von verschiedenen Umständen ab.

Einmal ist Claudia noch verheiratet (siehe dazu Geschichte Nr. 9: "Weihnachten und der Stern von Bethlehem" James Blackforest: Weihnachten und der Stern von Bethlehem) und zum anderen ist ihr Mann Manfred ein Alkoholiker und sie ist auch noch der Vormund von ihm. Manfred hat eine Lebensgefährtin, die ebenfalls nicht mehr ohne Alkohol überleben kann. Beide wohnen in Bühl Bühl in der Rheinstraße.

Der glückliche Umstand oder auch der unglückliche, es kommt auf die Sichtweise an, sollte auch schnell kommen und eher als es James und Claudia lieb ist. Es kommt sozusagen 'knüppeldick'.

In der lokalen Tageszeitung stand nur unter Polizeimeldungen Bühl: "Am 'Quetschebur' am Johannesplatz angelehnt aufgefunden und dabei für immer eingeschlafen ist ein 56jähriger Frührentner in der frühen Morgenstunde...". Der 'Quetschebur', auf deutsch 'Zwetschgenbauer', ist eine mannshohe Skulptur am Johannesplatz, ‚untersetzt‘ würde man für so kleine dickliche Personen sagen. Er hat kurze Beine, einen dicken Hintern, vorne einen vollgeformten Bauch. Die Wampe verjüngt sich wie einer Birne, die in eine Kugel, die den Kopf darstellt, übergeht, auf dem sich ein Obstkorb befindet, gehalten von kurzen, dicken Armen.

Gehen wir in der Zeit zurück. Der Beginn vom Ende, der Weg zum Zerfall und systematischer Zerstörung seines Lebens. Der Weg zur völligen Wirkung, der mit dem Tod des Körpers wohl endet.

Zig Entzugskuren hat er hinter sich, wohl auch ein Zeichen dafür, dass er schon früh 'aufgab'.

Etwa ein Jahr zuvor wurde Manfred aus dem Krankenhaus entlassen. Er wurde wegen Unterzuckers eingeliefert. Frisch rasiert und gut gelaunt verlässt er morgens das Kreiskrankenhaus Bühl. Mit der Reisetasche unter dem Arm spaziert er die Robert-Koch-Straße hoch zur Hauptstraße. Er hat sich vorgenommen, nichts mehr zu trinken. Die Sonne strahlt und es scheint ein schöner Tag zu werden.. Er biegt in die Schwanenstraße ein. Vor der Eisdiele findet er einen sonnigen Platz.

Aber lassen wir ihn am besten selbst erzählen:

"Es ist ein schöner Tag. Die Sonne lacht und ich würde mit ihr am liebsten um die Wette lachen. Anna, die hübsche Aushilfskellnerin kommt an den Tisch: Einen Wunsch, Gentleman?"

"Ja, bring mir bitte den Schwarzwaldbecher und einen Espresso dazu!", dabei treffen meine Blicke direkt auf die grünen Augen der jungen Kellnerin Wär‘ ich vierzig Jahre jünger - ich, würd‘ sie glatt heiraten, dachte ich mir so nebenbei.

Es ist wirklich schön, einfach hier zu sitzen und den Leuten hinterher zu gaffen. Ja, ich darf das, schließlich bin ich Rentner und brauch jetzt kein schlechtes Gewissen zu haben. Der Eisbecher schmeckt lecker und der Espresso ist ein wenig bitter. Mit dem Löffel kratze ich den letzten Rest Sahne.

Zum Aufstehen habe ich noch keine Lust. Es ist wirklich gemütlich hier. Es ist so als würden Weihnachten und ein Sommerurlaub zusammen treffen. Im Krankenhaus habe ich mir wirklich vorgenommen, keinen Alkohol mehr zu trinken. Es war eine harte Zeit. Die Schwester hatte mich festgeschnallt, denn der Entzug war nicht leicht und die Entzugserscheinungen fürchterlich. Am besten gefiel mir, als sie mich rasierte. So hat sich noch keine Frau um mich gekümmert! Sie war liebevoll, auch wenn ich zwischendurch schimpfte und mich wie ein Wildeber benahm.

Ihr habe ich es eigentlich zu verdanken, dass ich mich so wohl fühle. Es ist wunderbar, ein Leben ohne Alkohol!

Der Eisbecher ist leer. Das Eis roch leicht nach "Kirschwässerli" - das ist aber gar nicht so schlecht.

Bei dieser herrlichen Sonne sind meine Gedanken bald bei einem roten Campari angelangt. Ein Campari wird jetzt bestimmt nicht schaden. So bestelle ich den Campari mit Eis und Orangensaft. Ein Herr setzt sich jetzt neben mich. Wir sprechen über Gott und die Welt und auch über das schöne Wetter und dass morgen ein Gewitter aufziehen könnte. Der Campari ist weg, und weil ich die interessante Unterhaltung nicht abbrechen will, bestellte ich mir noch einen Martini-Cocktail mit Olive.

Bei so einem Martini Cocktail bleibt doch die Zeit stehen. Mit geschlossenen Augen spüre ich die brennenden Sonnenstrahlen auf der Stirn. Die Knie sind weich. Ich habe keine Lust nach Hause zu gehen. So bestelle ich mir den nächsten Cocktail. Oben am Himmel sehe ich die Sonne wandern. Stunde für Stunde, Cocktail um Cocktail wandert die Sonne gegen Westen, bis sie hinter dem Dachgiebel verschwindet. Ich zahle. Das Aufstehen fällt mir schwer. Ich nehme meine Tasche und bewege meinen Hintern die Schwanenstraße hinunter zum Johannesplatz. Der Druck meiner Blase wird stetig unerträglicher und schließlich gebe ich dem nach und lass über einen Pflanzenkübel der Blase freien Lauf. Wie aus einem Feuerwehrschlauch spritzt es auf die Erde im Topf. Ich sehe, wie die Passanten den Kopf schütteln, aber mir ist es egal. Soll ich denn in die Hose machen? Da kommt schon der Kellner angerannt. Es muss der Pflanzenkübel von dem feinen Restaurant sein. Ich flüchte in die Grabenstraße, überquere die Hauptstraße, nach Hause in die Rheinstraße.

Ich klingle, dies ist einfacher als den Schlüssel zu finden. Ursula Wienerle, kurz Ursel, meine Lebensgefährtin schaut aus dem Fenster. Die Türe brummt, ich drücke dagegen. Ich spüre mich fallen und sehe nur weißen Schnee....!"

Ja, der Manfred findet sich im Krankenhaus wieder. Festgeschnallt und Unterzucker. Wieder war eine Chance vertan.

Vier Wochen später darf er wieder nach Hause. Aber dieses mal nimmt er das Taxi. Seine Ursel empfängt ihn mit Freude an der Türe. Sie umarmt ihn und kaum sind sie im Wohnzimmer, meckert sie über dieses und jenes. Sie schauen fern und trinken nebenher Pils. Beide schlafen auf dem Sofa ein.

Am nächsten Morgen geht Manfred einkaufen. Im Supermarkt geht er an den großen Flaschen vorbei. Er kauft dies und das. Jedoch dort bei der Kasse greift seine Hand nach oben ins Regal zu den kleinen Fläschchen. Unzählige Fläschchen wandern auf das Fließband. James bezahlt und packt die Fläschchen in den Tragebeutel. Gleich an der Ecke leert er das erste. Nach zehn Metern das nächste. Nun setzt er sich auf die Gartenmauer und leert ein Fläschchen nach dem anderen. Bald merkt er nicht mehr, dass er aus der Wirklichkeit verschwindet. Er träumt, wie er wie Pavarotti auf einer Bühne steht, vor sich massenhaft Menschen, hinter sich ein riesiges Orchester mit Dirigent. Manfred singt mit voller Kraft "Nessun Dorma". Er hat Pavarottis Stimme im Ohr. Aber die Leute auf der Straße hören nur Manfreds Stimme und diese klingt nicht so herrlich. Den Menschen geht Manfred eher auf den Wecker und manch einer fleht innerlich zum Himmel "...er möge doch bald aufhören!"

Manfred spürt, dass jemand auf seine Schulder klopft. Er freut sich auf dieses Lob, aber es ist ein Polizist, der ihm klar macht, dass er verschwinden soll. Manfred schleppt sich die Straße weiter hoch. Die Welt um ihn dreht sich, selbst der feste Boden unter seinen Füßen schwankt wie die Wellen im Meer, nur er ist das Schiff, mit dem die Wellen spielen. Manfred spürt etwas Druck in seiner Blase. Er stellt sich vor, wie er die Hose öffnet und lässt das Wasser laufen. Es wird warm um

die Oberschenkel aber er begreift nicht mehr, dass sein Abwasser in die Hose rinnt. Er fühlt sich auch pudelwohl mit diesem "Egalgefühl". Nun dockt Manfred an. In Wirklichkeit sieht es aber so aus, dass sich Manfred auf eine Mauer legt. Er schläft ein und unterhält dabei mit einem leisen Schnarchen die Umwelt.

Es ist bereits Nacht, als Manfred aufwacht. Er schnappt sich die Einkaufstüte und macht sich auf den Heimweg. Die warme Nässe in der Hose hat sich abgekühlt. Es fühlt sich unangenehm an, aber bald ist er zu Hause. Aber, wo ist denn Ursel? Er kann keine Ursel in der ganzen Wohnung finden. Noch weiß er nicht, dass sie mit einem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht wurde.

Nochmal spürt er den Drang der Blase. Auf dem Klo öffnet er die Hose und lässt es einfach laufen. Der Klodeckel ist geschlossen und nun verteilt sich die dunkelbraune Sose in alle Richtungen. Manfred wankt ins Schlafzimmer. Dort lässt er sich einfach auf das Bett fallen und schläft ein.

"Aber wo ist Ursel", denkt er. Ohne sich waschen - er hat noch die gleiche Hose an - verlässt er die Wohnung. Die Sonne prallt auf die Rheinstraße. Manfred schleppt sich wieder zum Supermarkt. Er kauft wieder die "Fläschchen". Eins nach dem anderen trinkt er aus. Nun steht er vor dem Supermarkt. Er weiß nicht, dass er beide Hosen unten hat! Ein Nachbar ruft den Krankenwagen. Er wird in das Krankenhaus gebracht. Aber kaum ist Manfred nüchtern, möchte er auf dem schnellsten Weg nach Hause. Ein Taxi bringt ihn dorthin. Im Kühlschrank findet er noch Bier. Er muss aufs Klo. Obwohl er weiß, wo die Kloschüssel ist, macht er sein Geschäft daneben. Aber er merkt es nicht. Danach schläft er vor dem Fernseher ein. Am Morgen fällt ihm auf, dass sein Klo verstopft ist. Er bestellt einen Klempner, der nachmittags auch kommt. Der Klempner traut seinen Augen nicht, als er das Klo sieht. Sind das vielleicht Hinterlassenschaften eines Hundes oder doch das, was er sich gerade denkt? Der Klempner verlässt die Wohnung, ohne seine Arbeit getan zu haben. Manfred trinkt weiterhin Bier. Nun bieselt er im Schlafzimmer neben der Kommode in die Ecke. Auch die harten Sachen hinterlässt er dort. Manfred verlässt die Wohnung nur noch, wenn er Bier braucht. Das Bier trinkt er vor dem Fernseher und seine Geschäfte erledigt er dort, wo noch was frei ist. Aber jedesmal wenn er so ein Geschäft verrichtet, denkt er, auf einer Kloschüssel zu sitzen.

Sehr früh am morgen schreckt er vom Sofa auf. Wo ist denn meine Ursel? Denn er hat längst vergessen, dass Ursel im Krankenhaus ist, obwohl sie tags zuvor noch am Telefon mit ihm sprach.

Er steht auf und verlässt die Wohnung. Über die Grabenstraße kommt er zum Johannesplatz. Mitten auf dem Johannesplatz sieht er eine graue Gestalt, unweit der Wasserrinne. Er geht auf die Gestalt zu und umarmt diese. "Meine Ursel" murmelt er. Die "Ursel" fühlt sich sehr hart und kalt an. Auch er fühlt sich hart und kalt an, als ihn die Zeitungsausträgerin findet, den Quetschebur (Zwetschgenbauer) umarmend und schlafend, in einer für uns anderen Welt, ohne Rückfahrschein.

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21.09.2008

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